Berliner Amt gibt auf: „Das System ist vor Wochen zusammengebrochen“

In der Omikron-Welle stehen die Gesundheitsämter „womöglich vor einer so großen Belastung wie nie zuvor“, so die Verbandschefin der Amtsärzte. Das Amt Berlin-Neukölln hat die Kontaktverfolgung nun größtenteils eingestellt. Der epidemiologische Nutzen stehe in keinem Verhältnis zum Aufwand und sei nicht mehr sinnvoll, so der Amtsleiter.

Vor Weihnachten waren bundesweit die Gesundheitsämter komplett überlastet – eine Kontaktnachverfolgung war wegen der hohen Anzahl an Neuinfektionen vielerorts nicht mehr zu stemmen. „Eine flächendeckende Nachverfolgung findet im Moment fast gar nicht mehr statt“, räumte die Verbandschefin der Amtsärzte, Ute Teichert, Ende Dezember gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) ein.

Quelle: https://www.focus.de/politik/deutschland/kontaktnachverfolgung-kaum-mehr-moeglich-berliner-amt-stellt-kontaktnachverfolgung-ein-das-system-ist-vor-wochen-zusammengebrochen_id_36252996.html


Die Omikron-Welle wird Modellierungen zufolge zu täglichen Infektionszahlen im sechsstelligen Bereich führen und die Behörden an ihre Grenzen bringen. Für Teichert stehen die Gesundheitsämter "womöglich vor einer so großen Belastung wie nie zuvor". Das Gesundheitsamt Berlin-Neukölln hat die die Kontaktnachverfolgung nun größtenteils eingestellt.

Amtsleiter: Konkaktnachverfolgung nicht mehr sinnvoll
"Das System ist schon vor Wochen zusammengebrochen – nicht nur bei uns", sagt Amtsleiter Nicolai Savaskan gegenüber der "Welt". Schon im November mussten sie priorisieren, welche Fälle nachverfolgt werden, nun konzentrieren sie sich auf Ausbrüche in medizinischen Einrichtungen, Hotels und Gemeinschaftsunterkünften.

"Der epidemiologische Nutzen der Nachverfolgung steht in keinem Verhältnis zum Aufwand – und ist auch nicht mehr sinnvoll", erklärt Savaskan. Durch die lockereren Kontaktbeschränkungen als im Vergleich im Lockdown, haben Infizierte mehr Kontakte - in Restaurants und im Büro. "Theoretisch müssten unsere Mitarbeiter alle in mühsamer Einzelarbeit erst mal auf ihren Impf- oder Genesenen-Status überprüfen – denn ein Register existiert immer noch nicht", so Savaskan.

"Und die Gesundheitsämter stehen wieder mal als Deppen der Nation da"
Die Politik müsse sich klar machen: "Mit begrenzter Ausstattung und Personal gibt es eben nur begrenzten Service." Sein Amt habe derzeit weniger Personal als noch vor einem Jahr, zahlreiche Überstunden sind zum Start des dritten Pandemiejahres noch immer an der Tagesordnung.

Gängig sein Schlüssel von 25 Mitarbeitern auf 100.000, die bei einer Inzidenz bis 50 ausreichend seien. Darüber benötige man etwa 40, doch davon sei Savaskans Amt weit entfernt. In Berlin liegt die Inzidenz bei 647.9. Erst kürzlich wurde sein Antrag auf Personal abgelehnt, auch an mangelnder Digitalisierung hapert es. Darüber würden nicht die Ämter entscheiden, sondern die Landespolitik. "Und die Gesundheitsämter stehen wieder mal als Deppen der Nation da", beschwert sich der Amtsleiter.

"Behörden werden von der vorgesetzten Software kastriert"
Die Bundesregierung hatte den Gesundheitsämtern mit Sormas eine Software für eine leichtere Nachverfolgung zur Verfügung gestellt. Sie erhalten darüber positive Corona-Testergebnisse aus den Laboren, können Kontakte nachverfolgen und Quarantänebescheide ausstellen. Wie das Gesundheitsministerium auf Nachfrage des "RND" mitteilte, sind bisher 93 Prozent der Gesundheitsämter an das System angeschlossen. Doch nur 40 Prozent aller Ämter verwenden die Software auch, die wegen technischer Probleme immer wieder in der Kritik steht.

Die Software sei so schlecht, dass verschiedene Fachbereiche in den Ämtern nicht miteinander kommunizieren könnten - geschweige denn Ämter, die in verschiedenen Landkreisen liegen, sagt Savaskan. "Die Behörden werden von der vorgesetzten Software kastriert. Dabei ist diese Problematik nicht neu – sie wird aber immer wieder vergessen."

Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen warnt, dass wenn Kontaktpersonen nicht informiert werden und sich daher nicht testen lassen, mögliche Infektionen unerkannt bleiben. "Wir müssen deshalb wieder dahin zurückkommen, dass die Gesundheitsämter Kontakte nachverfolgen, Quarantäne aussprechen und Fälle tagesaktuell melden können", so Dahmen.