Nach fast zwei Jahren Pandemie ist gar nicht mehr klar, was eigentlich genau das Ziel vieler Corona-Maßnahmen sei, sagt die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Impfen als einzige Lösung zu propagieren habe sich als „Sackgasse“ erwiesen. Und doch sind strenge Corona-Regeln gerade in linken Milieus en vogue.0
WELT: Politisch linke Gruppen wie die Antifa und Teile des linksgrünen Milieus fordern die Härte des Staates gegen Demonstranten, die gegen staatliche Maßnahmen protestieren. Überrascht Sie diese linke Konformität?
Guérot: Die Linke und ihre Wählermilieus sind schnell auf den Pfad der Maßnahmentreue eingestiegen. Dieser für sie eher ungewöhnliche Staatsgehorsam schlug seine Wurzel im Argument der Solidarität zu Pandemiebeginn. Solidarität ist ein linkes Ideal, es grenzt sich zur konservativ und liberalen Eigenverantwortung und Eigenständigkeit ab. Auch der Lockdown war ein Ausdruck dieser Solidarität, die wie ein Köder in einem Milieu funktionierte, das sich strukturell eher als antiautoritär und freiheitsliebend versteht. Es löste berechtigte Freude in progressiven Milieus aus, dass endlich einmal Leben über Geld gestellt wurde.