Lockdown: Bis zu 500 Kinder nach Selbsttötungsversuchen auf Intensivstationen

Uniklinik Essen: Fallzahl ist im zweiten Lockdown um rund 400 Prozent im Vergleich mit der Zeit vor Corona gestiegen.

Bis zu 500 Kinder mussten nach Suizidversuchen zwischen März und Ende Mai 2021 bundesweit auf Intensivstationen behandelt werden. Das ist das Ergebnis einer Studie der Essener Uniklinik, über die der Leiter der dortigen Kinder-Intensivstation, Professor Christian Dohna-Schwake, exklusiv im Videocast 19 – die Chefvisite berichtete. Die Fallzahl sei damit im zweiten Lockdown um rund 400 Prozent im Vergleich mit der Zeit vor Corona gestiegen.

Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/news/lockdown-bis-zu-500-kinder-nach-selbsttoetungsversuchen-auf-intensivstationen-li.204692


Die dramatische Entwicklung, die sich aus Daten von 27 deutschen Kinder-Intensivstationen ergebe, habe ihn „überrascht“. Lockdown und Schulschließungen im Frühjahr letzten Jahres hätten sich „wie Kaugummi hingezogen“, so Dohna-Schwake zu möglichen Ursachen. Das habe vor allem Kinder belastet, die schon zuvor unter Depressionen oder Angststörungen gelitten hätten. Dabei wirkten „soziale Kontakte außerhalb sozialer Medien präventiv“, betonte Dohne-Schwake. Auf Basis der zur internationalen Veröffentlichung eingereichten Studie laute seine Empfehlung daher, die Schulen „solange das irgendwie geht“ offen zu halten.

„Seelische und soziale Folgen bei Kindern wurden vollkommen ignoriert“
Einige , Schulschließungen um jeden Preis zu vermeiden. „Durch die Omikron-Variante verschärft sich die pandemische Lage massiv, auch an den Schulen“, sagte der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, dem RND. „Das Motto der Politik darf auf keinen Fall mehr heißen, dass es Präsenzunterricht um jeden Preis geben muss“, fügte er hinzu. Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sagte dem RND: „Alle starren jetzt auf die Omikron-Welle. Wird es eine Welle? Wird es eine Wand?“ Meidinger: „Wenn es im kommenden Jahr noch einmal zu einem Lockdown kommen sollte, können die Schulen davon nicht ausgenommen werden.“

Die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) begrüßte hingegen den Präsenzunterricht an Schulen so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. „Bildung hat oberste Priorität, und Präsenzunterricht ist die beste Form, sie für alle zu gewährleisten. Wir müssen alles tun, um die Schulen auch mit Omikron offen zu halten, und darauf vorbereitet sein, dass die Infektionszahlen sehr stark ansteigen könnten“, sagte Stark-Watzinger der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hatte die politische Vernachlässigung in der Vergangenheit scharf kritisiert. BVKJ-Sprecher Jakob Maske hatte bereits im Mai 2021 gewarnt: „Es gibt psychiatrische Erkrankungen in einem Ausmaß, wie wir es noch nie erlebt haben. Die Kinder- und Jugendpsychiatrien sind voll, dort findet eine Triage statt. Wer nicht suizidgefährdet ist und ‚nur‘ eine Depression hat, wird gar nicht mehr aufgenommen.“

Dass die Isolierung von Kindern und Jugendlichen massive Risiken birgt, schreiben auch  „Corona in der Seele. Was Kindern und Jugendlichen wirklich hilft“. Gemeinsam gründeten sie 2015 das Pädagogische Institut Berlin (PIB). Beide sind als Berater und Autoren tätig und betreiben Forschungen im Bereich Pädagogik und Kinderpsychologie. In der praktischen Arbeit mit Eltern, Lehrerinnen und Erziehern erleben sie die Auswirkungen der Corona-Krise sehr direkt und wissen: Es gibt Kinder, die noch länger an dieser außergewöhnlichen Zeit zu tragen haben werden. So sei im Frühjahr 2021 in der Öffentlichkeit nur darüber geredet worden, „dass Kinder beim Ausklingen der Pandemie viel Schulstoff nachholen müssten. Die seelischen und sozialen Folgen von Corona bei den Kindern und Jugendlichen wurden vollkommen ignoriert“, sagt Baer.