Impfquote übersteigt 100 Prozent – hat Bremen richtig gerechnet?

Hat Bremen alles richtig gemacht? Zumindest ging es mit der Impfkampagne zügig voran. Jetzt knackt die Impfquote sogar die 100 Prozent-Marke. Aber kann das stimmen?

Die jüngsten Meldungen aus dem kleinsten Bundesland Deutschlands irritieren – zumindest auf den ersten Blick. Nach den Feiertagen stiegen die Fallzahlen täglich. Mittlerweile verzeichnet Deutschlands Impfmeister Bremen eine Inzidenz von 799 und liegt so mit Abstand vor dem Zweitplatzierten Berlin (Stand 7. Januar 2022: 511,5). Dabei galt Bremen mit seinem flotten Impftempo lange als Vorbild. Dass die Inzidenz nun wieder in die Höhe schießt, hat drei gute Gründe.

Quelle: https://www.stern.de/politik/deutschland/erschreckende-inzidenz-und-fragwuerdige-impfquote–der-bremer-zahlensalat-31483108.html


Darum steigt die Inzidenz in Bremen so stark
Studien, unter anderem aus Israel, haben bereits im Herbst nahegelegt, dass der Impfschutz je nach Hersteller unterschiedlich schnell und stark abnimmt. Die steigenden Fallzahlen führt der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie unter anderem genau darauf zurück. "Durch die früh angelaufene Impfkampagne in Bremen lässt der Impfschutz inzwischen nach", sagte er zuletzt im ZDF.

Lukas Fuhrmann, Sprecher der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz in Bremen, macht vor allem die Omikronvariante verantwortlich. Bremen und Hamburg gelten derzeit als die Bundesländer, in denen die Mutante bereits dominiert. "Wir gehen davon aus, dass Omikron mittlerweile fast 100 Prozent aller Corona-Fälle ausmacht", sagte Fuhrmann auf stern-Anfrage.

Laut Zeeb ist die Mutante etwa 2,5 bis 3,5 Mal infektiöser als Delta. Der Epidemiologe bezieht sich hierbei auf Daten aus Dänemark, Südkorea und Großbritannien, wo Omikron ebenfalls dominiert. Laut einer gerade im Preprint veröffentlichten Studie aus Dänemark war Omikron in Haushalten, in denen nur Doppelt-Geimpfte oder nur Geboosterte lebten, deutlich übertragbarer. Die Studie zeige aber auch, dass Geboosterte das geringste Übertragungsrisiko aufwiesen, Ungeimpfte das höchste.

Omikron macht Bremer Impffortschritt zunichte
Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) warnte der Epidemiologe jedoch vor falschen Rückschlüssen. "Es ist keinesfalls so, dass man sich als Geboosterter in absoluter Sicherheit wiegen und damit auf alle Maßnahmen oder Ratschläge zur Pandemiebekämpfung verzichten kann." Auch als Geboosterter sei man nicht gegen das Coronavirus immun. In der Hansestadt sind laut dem Regionalsender "Buten un binnen", der sich auf Daten der Gesundheitsämter beruft, 44 Prozent dreifach geimpft (Stand 6. Januar 2022). Damit liegt Bremen etwas über dem Bundesdurchschnitt. Aktuellen Zahlen des Impfdashboards zufolge erhielten bundesweit bisher fast 42 Prozent eine Auffrischung.

Neben dem rückläufigen Impfschutz und der neuen Virusvariante nannte Senatssprecher Fuhrmann noch einen dritten Grund für die hohe Inzidenz: "Über die Feiertage haben wir die Personalkapazitäten in den Testzentren und beim Gesundheitsamt verdoppelt." In Bremen seien die Fallzahlen belastbar. Es gebe keinen Meldeverzug, wie in anderen Ländern. Teilweise würden dort noch Zahlen von den Feiertagen gemeldet, sagte Fuhrmann unter Berufung auf eine bundesweite Übersicht der Gesundheitsämter. Er geht deshalb davon aus, dass die Inzidenz in den kommenden Tagen und Wochen auch in anderen Bundesländern ähnlich ansteigen wird wie in Bremen abgebildet.

Wie realistisch ist die Impfquote?
Weitaus irritierender als die hohe Inzidenz ist die hohe Impfquote. Laut RKI sind in Bremen 100,2 Prozent aller Erwachsenen zwischen 18 und 59 Jahren doppelt geimpft (Stand 7. Januar 2021). Eine verzerrte Impfquote verzeichnet jedoch nicht nur Bremen, versicherte Sprecher Fuhrmann. Das Problem besteht bundesweit und liegt am Meldesystem des RKI und der Gesundheitsämter. Was bereits seit zwei Monaten bekannt ist, wird jetzt am Beispiel Bremen besonders deutlich. Statistisch werden in Impfzentren neben dem verabreichten Impfstoff zahlreiche Angaben wie Alter, Geschlecht, und der Wohnort aufgenommen und pseudonymisiert in einer Online-Datenbank gespeichert, wo sie vom RKI übernommen werden. Wegen des bürokratischen Mehraufwands verzichten die Hausärzte auf Teile der demographischen Angaben – wie etwas dem Wohnort.

Man einigte sich auf eine reduzierte Meldepflicht. Das RKI schreibt dazu: "Nur die Angabe des Ortes der impfenden Stellen ist in allen Datenquellen enthalten." Soll heißen: Nur der Impfort wird an das Institut übermittelt. "In allen Bundesländern fließen deshalb Personen in die Impfquote, die gar nicht dort leben", erklärt Fuhrman – und verzerren damit die eigentliche Quote.

Seinen Angaben zufolge lassen sich vor allem Menschen aus Niedersachsen in Bremen impfen. "Bei uns kommt das am stärksten zum Tragen, weil wir bundesweit ohnehin die höchste Impfquote haben." Wie stark die Daten verzerrt werden, ist unklar. Fest steht jedoch, dass es bis heute bundesweit keine belastbaren Impfquoten für Städte und Landkreise gibt, weil Bürger zu häufig in einer Region jenseits ihres eigentlichen Wohnortes geimpft werden.

Allerdings versuche man sich wieder der realen Impfquote zu nähern, teilte Fuhrmann mit. Hierfür gleicht Bremen seine Impfdaten mit denen aus Niedersachsen ab. Das habe man bereits im Sommer getan. Damals hätte es jedoch kaum Differenzen gegeben, so Fuhrmann. Er erwartet, dass es auch jetzt ähnlich ist. "Ich gehe nicht davon aus, dass wir von der aktuellen Impfquote zehn Prozent abziehen müssen." Ob das ganz richtig ist? Der Lokalsender "Buten un binnen" vermeldete am 6. Januar unter Berufung auf das Gesundheitsamt eine Impfquote von knapp 84 Prozent. Demnach müssten sogar über 16 Prozent der Geimpften aus Niedersachsen stammen. Wie die Impfquote nun wirklich ausfällt, bleibt also weiterhin unklar.