Harald Schmidt: «Ich bin auf einem guten und vernünftigen Weg, 2 G zu erfüllen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, sonst gibt’s schnell was auf den Aluhut»

Das Harald-Schmidt-Interview gilt längst als eigenes journalistisches Genre. Im Gespräch erinnert sich der Privatier an Begegnungen mit Günter Gaus und André Müller – und erklärt, warum er sich ein TV-Comeback finanziell gar nicht mehr leisten könnte.

«Ich bin gar nicht auf der Suche nach einer Zielgruppe. Ich orientiere mich da an Stefan George. Bei ihm wusste man nicht einmal, wo er wohnt. Der Meister erscheint»: Harald Schmidt im Berliner Korrespondentenbüro der «Neuen Zürcher Zeitung».

Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/harald-schmidt-ueber-corona-die-impfdebatte-und-den-tod-ld.1660188


Herr Schmidt, normalerweise empfangen Sie Ihre Interviewer im Kölner Excelsior-Hotel Ernst, einem Fünfsternhaus, nun müssen wir mit den Berliner Räumlichkeiten der NZZ vorliebnehmen.

Das mit dem Hotel habe ich mittlerweile durch, es ist ein bisschen ausgenudelt, aber für mich ist es halt superbequem und für die Journalisten auch, denn das Excelsior liegt ja direkt neben dem Kölner Hauptbahnhof.


Wir dürfen uns nicht im Hotel treffen, weil Sie weder geimpft noch genesen sind.

Dass ich nicht geimpft sei, das behaupten Sie einfach so, und ich lasse das mal so stehen. Mittlerweile habe ich mir eine Olaf-Scholz-Formulierung überlegt: «Ich bin auf einem guten und vernünftigen Weg, 2 G zu erfüllen.» Das lässt alles offen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, sonst gibt’s schnell was auf den Aluhut.

Eigentlich wollten wir über Interviews reden. Das Harald-Schmidt-Interview ist im deutschsprachigen Journalismus ja mittlerweile zu einem eigenen journalistischen Genre geworden.

Dabei gebe ich gar nicht so viele, ich bin schon wählerisch. Ich mache mit, wenn ich sehr viele Leser erreichen kann wie beim «Migros-Magazin» oder bei der «Apotheken-Umschau». Oder wenn ich meine Klientel ansprechen kann, etwa durch die «Frankfurter Allgemeine», die NZZ oder «Die Zeit». Für die «Traumschiff»-Zuschauer rede ich auch schon mal mit der «Bild»-Zeitung.

Sie sprechen schon eher ältere Leute an?

Ich bin gar nicht auf der Suche nach einer Zielgruppe. Ich orientiere mich da an Stefan George. Bei ihm wusste man nicht einmal, wo er wohnt. Der Meister erscheint. Aber ja, mein Publikum besteht schon vorwiegend aus Leuten, die 45 Jahre oder älter sind. Aber das ist mittlerweile auch die Mehrheit. Der demografische Wandel ist ja eine viel grössere Sache als der Klimawandel. Bei der Erderwärmung sind alle dafür, dass man sie bekämpft, aber wenn es im Sommer draussen 50 Grad hat, sagen die Leute doch: Schön, man kann wieder länger draussen sitzen. Wenn dagegen die Grossmutter ins Pflegeheim muss, betrifft das die Menschen wirklich.


Ich weiss nicht, ob es Kurt Felix oder Joachim Kaiser war, der gesagt hat, um eine Pointe aus dem Ärmel schütteln zu können, müsse man sie erst mal hineingetan haben. Bereiten Sie sich auf Interviews vor?

Das Zitat stammt von Rudi Carrell. Die meisten sind natürlich nicht in der Lage, sich das wörtlich zu merken, und damit ist es ruiniert. Bei Ihnen hat es überhaupt nicht gestimmt, aber Sie müssen es auch nicht wissen, Sie sind ja nicht im Showbusiness. Carrell sagte: «Wenn du was aus dem Ärmel schütteln willst, musst du vorher was reingetan haben.» So hat es eine Knappheit und einen Rhythmus. Aber die meisten Showmaster sagen es so wie Sie. Ich habe das auch schon verwendet, aber mittlerweile mache ich das nicht mehr, weil es zu Tode zitiert wurde.

Was macht einen guten Interviewer aus?

Ein guter Interviewer kommt erst einmal mit einer Frage, die einen völlig in Schlagsahne bettet. In meinem Fall wäre der ideale Einstieg: «Für mich sind Sie eine Art Frank Sinatra, der Nietzsche zu Ende denkt.» Dann denke ich, da ist einer, der mein Lebenswerk kennt. Und dann fängt man an, sich um Kopf und Kragen zu reden. Die tödlichste Kombination ist es, wenn der alte Hase, dessentwegen man zugesagt hat, einen jungen Kollegen mitbringen muss, der vor Ehrgeiz strotzt und als Erstes fragt: «Was macht das mit Ihnen, dass Sie beim vierten Sender rausgeflogen sind und keiner Sie mehr sehen will?» Der will natürlich abends im Klub oder in der Patchwork-Hölle sagen können: Dem hab ich gleich mal einen eingeschenkt. Aber das ist natürlich Quatsch, denn wie mein alter Arbeitgeber Haim Saban immer sagte: «You get the bees with honey, not with vinegar.»

Sie wurden auch schon von Günter Gaus und André Müller befragt, vielleicht den beiden bedeutendsten Interviewern des deutschen Sprachraums. Danach konnte es nur noch bergab gehen.

Im Gegenteil. Bei Gaus fand ich, dass ich sehr schlecht war, denn ich war so beflissen. Ich wollte auf dieser Gaus-Ebene mithalten, anstatt Gaus zu mir herunterzuziehen, wie ich es heute machen würde. Zwei Stunden vorher musste ich zu einer Besprechung kommen, und er sagte, er verrate mir nun sein Geheimnis: Die Fragen habe er auf Pappen stehen, die aus den Strumpfhosenpackungen der Rommé-Partnerinnen seiner Frau kämen. Da würde ich heute natürlich sagen: Das finde ich super, dass ich Fernsehen erklärt kriege, denn ich habe ja erst 40 000 Sendungen gemacht, und man lernt schliesslich nie aus. Aber ich dachte: wow, Günter Gaus, Hannah Arendt und Gustaf Gründgens.
Und André Müller?

Genau das Gleiche. Er wollte mir dauernd etwas unterjubeln: «Sie san doch a selbstmordgefährdet» und «Oba die klanen Kinder in Afrika darf man sterben lossen.» Ich hätte ihn gleich am Anfang fragen sollen, wie lang er mich eigentlich noch mit seinem Elend langweilen will. Aber wenn man das erste Interview mit so einem Kaliber kriegt, will man, dass sich der Gesprächspartner fragt, warum er einen erst jetzt eingeladen hat.


Dass ein Interview völlig aus dem Ruder lief und in einem Eklat endete, haben Sie aber nie erlebt?

Nein. Die Top-Interviewer stellen ja auch gar keine Fragen, nach denen man keinen Bock mehr hat. Falls das doch passiert, gebe ich korrekte Antworten, die einfach nur öde sind. Dann sage ich: Wir haben diesen Planeten nur von unseren Kindern geliehen. Und das nutzt Ihnen ja gar nichts.

Sie erfinden Ihre Biografie im Gespräch auch immer ein wenig neu?

Ja, und ich übernehme dabei auch Sachen, die ich über mich gelesen habe. Früher habe ich mir den Mund fusselig geredet, dass ich nicht Musik studiert habe, trotzdem wird das noch immer behauptet. Also sage ich mittlerweile: Natürlich habe ich Musik studiert. Manchmal versuche ich auch, mir neue Einkunftsquellen zu erschliessen, etwa indem ich mich als grossen Börsenfreak darstelle. Darauf kommen dann zwei oder drei Anfragen als Keynote-Speaker bei irgendwelchen Drückerkolonnen. Das mache ich dann nicht, das ist mir zu blöd. Aber es passiert immer wieder, dass mir einer schreibt: «Ich habe mit Freude gelesen, dass auch Sie für die Atombewaffnung Baden-Württembergs sind, wir würden Sie gerne zu unserem Kongress in Sigmaringen einladen.» Mann, sind das Juwelen, die ich da verheize, kriegen Sie das überhaupt alles unter?

Ich muss das Beste herausfiltern.

Oft wird so was dann noch auf dem Youtube-Kanal der Zeitung weiterverwendet.

Wir wollten auch ein Video produzieren, aber dann wurde der junge Kollege, der die Aufnahmen machen sollte, positiv getestet.

Aids?

Nein, Corona.

Gut, ich bin eben an der Charité vorbeigefahren, ich bin also nicht auf ein Virus festgelegt. Michel Houellebecq, der französische Autor, falls Ihnen der Name neu ist, sagt ja, das sei das Langweilige an Corona: dass es nicht einmal sexuell übertragen werde.


Eine Frage, die Sie wahrscheinlich immer wieder hören, die aber nach wie vor viele bewegen dürfte: Mit dem Fernsehen haben Sie endgültig abgeschlossen?

Ja, ich bin jetzt Privatier, aber – Achtung, neue Pointe, die ich noch nicht verheizt habe – Fernsehen kann ich mir finanziell nicht mehr leisten. Ich bin gespannt, wie der Satz nach draussen wirkt. Meine Maxime war immer: Ihr könnt froh sein, dass ich überhaupt auftrete. Den Redaktoren haben wir immer das Gefühl vermittelt: Zuschauer, das ist etwas für die Masse. Aber hier passiert etwas, was weit, weit ins nächste Jahrtausend reicht, und du hast die einmalige Gelegenheit, dabei zu sein. Wenn es irgendwann bei einem Sender nicht mehr funktionierte, zogen wir weiter, und irgendwann war halt Schluss. Ich habe nie Quoten geliefert, immer nur Qualität.

Ihre Shows waren für die Sender Prestigeprojekte.

Keine Ahnung, ich war einfach der Beste.

Sie sind von den Öffentlichrechtlichen zu den Privaten gewechselt und wieder zurück. Wie haben Sie die Unterschiede erlebt?

Bei den Öffentlichrechtlichen hat man in erster Linie Angst. Bei den Privaten zählt das Geschäft. Dort wurde ich teilweise von der Marketingabteilung bezahlt. Ich ging auch mit dem Intendanten zu Werbekunden. Als ich bei Sat 1 war, gehörte der Sender Leo Kirch. Was wurde über den nicht alles geschrieben. Aber er hat diese Show ermöglicht. Als wir dann schon auf dem Weg nach unten waren, gingen wir noch einmal bei der ARD zum Zwischenstopp vorbei.


Wie war Kirch im Umgang?

Die Begegnungen mit ihm waren Sternstunden. Er war jovial, der nette Onkel.

Kein Wunder, er stammt ja auch aus einer Winzerdynastie.

Ja, und das prägt einen natürlich. Wie werden Sie von Leo Kirch engagiert? Erste Frage: «Wollen Sie zu uns kommen?» Zweite Frage: «Wann?» Das war’s. Da sitzen bei der ARD vier Entscheidungsträger, die nichts zu entscheiden haben, und dann kommt noch einer, der auch nicht wirklich entscheiden kann. Das war mit Kirch und Haim Saban anders. Saban feuerte erst mal die Chefs und setzte seine eigenen Leute ein. Da weiss man, das ist Business. Und er stellte mir eine Frage: «Who exactly is Guntärrr Jauch?»

Was antworteten Sie?

«The biggest star in German television.» (Macht eine längere Pause.) Ja, das würde ich schon sagen.

Waren Sie selbst gern Unternehmer?

Ja. Ich hatte zwei oder drei Leute, auf die ich mich blind verlassen konnte. Ich selbst kann ja keine Bilanz lesen. Als Unternehmer hat man die Richtlinienkompetenz. Nächste Woche jagen wir einen Rolls-Royce in die Luft. Was kostet das? 2000 Euro. Okay, machen wir. Bei der ARD kommt dagegen ein Redaktor zu Ihnen und fragt, ob Hélène Grimaud den Chopin auch schneller spielen kann, damit es nicht so lang geht. Das sind dann so Sachen, bei denen Sie sagen: Das tue ich mir nicht mehr an.


Hatten Sie als Patron schlaflose Nächte?

Niemals. Als Katholik können Sie das gar nicht haben, denn wenn es weg ist, ist es weg.

Gehen Sie noch oft in die heilige Messe?

Ja, denn ich bin ja ein grosser Freund des Rituals. Dieses Selbstgestrickte, wo dann an Weihnachten beim Krippenspiel plötzlich ein Kind ein Biene-Maja-Kostüm anhat, mag ich nicht so.

Haben Sie in Köln Priester, deren Predigten Sie gut finden?

Ja, die gibt’s schon. Hauptsächlich Jesuiten. Aber theologisch kann ich das nicht beurteilen.

Die Gefahr, dass Sie im Alter noch zum Hobbytheologen werden, besteht also nicht?

Als Gläubiger brauche ich keine Theologie. Ich glaube einfach. Ich kenne Frauen in den Neunzigern, die gehen jeden Sonntag in die Kirche und beten täglich den Rosenkranz. Die wissen nicht einmal, dass es überhaupt Theologieprofessoren gibt.


Gab es in Ihrem Leben je atheistische oder agnostische Phasen?

Nie. Zweifel schon, aber warum sollte man für die 80 oder 85 Jahre, die man hier auf Erden ist, den grossen Durchblicker spielen? Die Wahrscheinlichkeit, dass es hinterher ganz anders ist, liegt ja mindestens bei 50 zu 50. Ein Münchner Arzt sagte mir mal: «Mei, in ihr’m kloanen Krankenhausbettl werns holt all’ wieder katholisch.» Aber wenn mir einer sagt, dass er mit Glauben nichts am Hut hat, ist das auch okay. Als Katholik müsste ich natürlich im Auftrag der Kirche missionieren, aber das mache ich nicht.

Ist der Gedanke, dass nach dem Tod nichts mehr kommt, überhaupt auszuhalten? Marcel Reich-Ranicki fürchtete sich angeblich davor, nicht mehr zu wissen, was im nächsten «Spiegel» steht.

Das finde ich ein bisschen bemüht. Zu viel Ehre für den «Spiegel» auch.

Es muss ja nicht «Der Spiegel» sein.

Ja, aber ich finde, das Thema Tod ist zu bombastisch, und irgendwann greift da auch Sprache nicht mehr. Da ist dann Schluss. Vielleicht funktioniert dann noch Musik. Aber wahrscheinlich funktioniert dann gar nichts mehr.