Wie beim RKI dubiose Daten entstehen

Können die neuen Recherchen eine Impfpflicht verhindern?

In den vergangenen Wochen wurden interessante und wichtige Artikel veröffentlicht, die einige Thesen bestätigen, welche unterschiedliche Journalisten aus den „Coronamaßnahmen-kritischen“ Medien schon länger im Auge haben und beschreiben.

Zentral für die hier folgende Zusammenfassung sind vor allem zwei Enthüllungen der WELT. Zum einen der hohe Anteil von COVID-19-Fällen mit unbekanntem Impfstatus, welche lange Zeit fälschlicherweise den Ungeimpften zugeordnet wurden und so logischerweise die unterschiedlichen Inzidenzen für Geimpfte und Ungeimpfte zugunsten der Impfung verzerrt haben.

Quelle: https://reitschuster.de/post/wie-beim-rki-dubiose-daten-entstehen/


Eine zweite wichtige Enthüllung bezog sich darauf, dass viele Krankenhäuser auch solche Patienten an die Gesundheitsämter melden, die nicht „wegen“ COVID-19, sondern aufgrund einer anderen Ursache hospitalisiert wurden (im Folgenden: „Mit-Fälle“). Damit das Ausmaß der Verzerrung deutlich wird: In Nordrhein-Westfalen lag der Anteil der “Mit-Fälle“ beispielsweise bei 34,9 Prozent; in 18 Prozent der Fälle war der Hospitalisierungsgrund zudem unbekannt.

Es gibt guten Grund zu der Annahme, dass sich die „Mit-Fälle“ zusammensetzen aus asymptomatischen Patienten, die also keinerlei für COVID-19 spezifische Symptome aufweisen und aus Patienten, bei denen COVID-19 als symptomatischer Nebenbefund aufgetreten ist (für letztere wäre ein Patient mit einem Schlaganfall, Husten und einem positiven Test als Beispiel zu nennen).

Beide Enthüllungen ziehen unterschiedliche Konsequenzen nach sich, die bedeutsam für den anzunehmenden Schutz der derzeit angebotenen Impfungen gegen COVID-19 sein dürften und insbesondere die Debatte über eine Impfpflicht in weite Ferne treten lassen sollten. Ich versuche, dies im Folgenden leicht verständlich und kompakt zu erläutern:

Zunächst lässt sich bei der lückenhaften Darstellung der COVID-19-Fälle beginnen. Die Reporter der WELT konnten hier den Anteil der COVID-19-Fälle mit unbekanntem Impfstatus nur teilweise für einige Bundesländer recherchieren und kamen beispielsweise in Bayern auf einen Wert von sage und schreibe über 65 Prozent (57.489 Fälle mit unbekanntem Impfstatus von 81.782 Fällen insgesamt) in der Woche vor dem 24. November.

Anteil mit unbekanntem Impfstatus wächst immer weiter an
Über den Anteil der bundesweiten COVID-19-Patienten (im Folgenden: C-Patienten) mit unbekanntem Impfstatus erteilt das RKI leider keine direkte Auskunft. Diesem Wert lässt sich allerdings nach Meinung des Autors annähern, indem man die Zahlen der wöchentlich veröffentlichten Lageberichte des RKI (im Folgenden: WB) mit den Zahlen gemäß den „klinischen Aspekten“ des RKI vergleicht, wobei letztere immer auf dem Datenstand vom Tag der Veröffentlichung des WBs sein sollten, damit keine Differenzen aufgrund von Nachmeldungen entstehen. Bis zum 23.9.2021 ergaben sich über mehrere Kalenderwochen hinweg tatsächlich kaum Differenzen zwischen WB und klinischen Aspekten; die Zahlen aus den WB und den klinischen Aspekten waren nahezu identisch (eine sehr geringe Differenz dürfte auf den Ausschluss der unter 12-Jährigen in den WB zurückzuführen sein).

Mit dem WB vom 30.9.2021 wurde dann eine „methodische Anpassung“ vorgenommen, sodass die C-Patienten ohne bekannten Impfstatus aus der Tabelle 4 des WBs entfernt wurden. Ab diesem Zeitpunkt tat sich eine deutliche Schere zwischen den klinischen Aspekten und den WB auf, wie man an der nachfolgenden Abbildung sieht, die auf Grundlage der WB und der klinischen Aspekte des RKI erstellt wurde:


Eigene Berechnungen
(Quelle: WB u. klinische Aspekte des RKI)
In der weiteren Beobachtung der Differenz beider Datensätze im Zeitverlauf konnte man feststellen, dass die Schere nicht etwa wieder zu, sondern vielmehr immer weiter aufging, sodass die beschriebene Differenz zwischen klinischen Aspekten und WB zuletzt über 50 Prozent betrug. Diese Differenz dürfte sich zum Großteil oder fast ausschließlich aus hospitalisierten C-Patienten mit unbekanntem Impfstatus zusammensetzen. Gemäß der obigen Herleitung lässt sich also auch in den Daten des RKI ein bedeutsamer Anteil von Patienten ohne bekannten Impfstatus vermuten.

Ein Erklärungsansatz: Das Auftun der Schere ging mit insgesamt steigenden Fallzahlen einher; es steht daher zu vermuten, dass die Gesundheitsämter mit steigender Arbeitsbelastung schlichtweg einen immer geringeren Anteil der Fälle vollständig und inklusive Impfstatus zu ermitteln im Stande waren.

Nun ist keinesfalls sicher, ob der Anteil an Hospitalisierten mit bekanntem Impfstatus repräsentativ für alle C-Patienten steht. Hierzu müsste es sich um eine Zufallsstichprobe handeln. Somit ist eine systematische Verzerrung der Zusammensetzung des RKI-Datensatzes mit bekanntem Impfstatus keineswegs auszuschließen.

Aus diesem Grund kann man aus der Sicht des Autors die Daten des RKI zur Hospitalisierung nach Impfstatus bestenfalls begrenzt zur Bewertung eines möglichen Impfschutzes heranziehen, was in der aktuellen Debatte um eine Impfpflicht gleichwohl gerne und häufig getan wird.

Mit und nicht wegen hospitalisiert
Der zweite Aspekt der Recherchen der WELT bezieht sich, wie zu Beginn erläutert, auf die Feststellung, dass ein hoher Anteil der C-Patienten, nur „Mit“ und nicht „Wegen“ COVID-19 hospitalisiert wurde. Auch als Folge hieraus sind vielfältige Mechanismen denkbar, die zu Verzerrungen der Datenlage in Bezug auf den Impfstatus führen könnten. Beispielsweise besteht ein dramatisches Ungleichgewicht bei der Anzahl an Geimpften und Ungeimpften vorgenommenen Testungen im Zuge von 3G. Weitere denkbare Mechanismen der Verzerrung werden weiter unten ausgeführt.

Zunächst ist anzumerken, dass nach Meinung des Autors die Krankenhäuser klar entgegen einer Meldeverordnung vom 11.7.2021 handeln, wenn sie auch „Mit-Fälle“ an das RKI melden. Denn in dem Referentenentwurf zu dieser Verordnung steht:

„Mit dieser Verordnung wird eine Pflicht zur Meldung von Hospitalisierungen aufgrund der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) geschaffen.“

Das RKI bezieht sich im Rahmen eines E-Mail-Schriftwechsels mit dem Autor dieses Textes auf genau diesen Referentenentwurf und begründet mit Verweis eben darauf, dass man beim RKI einfach davon ausgehe, dass die Mehrheit der C-Patienten tatsächlich immer nur aufgrund von COVID-19 hospitalisiert würden. Wie das in der Praxis gehandhabt werde, dafür möge man sich an die einzelnen Kliniken wenden.

Es ist der stark gehegte Verdacht des Autors, dass auch lediglich aufgrund dieser (in der Praxis ungeprüften) Annahme des RKI in allen WB seit dem 30.9.2021 die hospitalisierten COVID-19-Fälle explizit als symptomatisch ausgewiesen werden in der dazugehörigen Tabelle der WB. Man geht eben davon aus, dass diese schon symptomatisch sein werden, da ja die Ärzte der Krankenhäuser sicherlich informiert sein werden über das, was in einem Referentenentwurf irgendwo auf Seite 5 steht.

Handeln Krankenhäuser entgegen RKI-Verordnung?
Ich gehe auf diesen Knackpunkt hier ein, da er von aufmerksamen Gesprächspartnern schon häufiger bemerkt wurde und sicherlich auch hier (zunächst vollkommen zu Recht) angeführt werden wird. Wie gesagt, fand der Begriff „symptomatisch“ im Zusammenhang mit den Hospitalisierungen erstmalig Eingang in den WB vom 30.9.2021; zuvor wurde nur von „hospitalisierte COVID-19-Fälle“ gesprochen (WB vom 23.9.21). Hier die Tabelle 4 des WBs vom 30.09.2021:


Wöchentlicher Lagebericht vom 30.9.21
(Quelle: RKI)
Es war jedoch auch ausgerechnet der Bericht vom 30.9.21, mit dem die oben bereits angesprochene methodische Anpassung in Bezug zu den Fällen mit unbekanntem Impfstatus vorgenommen wurde. Genau diese eine methodische Anpassung wird in dem wöchentlichen Lagebericht auch explizit beschrieben und gerechtfertigt – keine andere.

Zudem wird in demselben WB, der ja nun eigentlich ausschließlich symptomatische Fälle im Krankenhaus führen sollte, auf Seite 22 angeführt:

„Mögliche Limitationen der Berechnungen: Es ist nicht vollständig auszuschließen, dass einige Fälle möglicherweise eine asymptomatische COVID-19 Infektion hatten, die beim Krankenhausaufenthalt aufgrund einer anderen Ursache identifiziert wurde, auch wenn nach der Meldeverordnung nur Krankenhausaufnahmen mit einem Bezug zu COVID-19 gemeldet werden sollen.“

Hierbei ist von der bereits oben vorgestellten Meldeverordnung die Rede. Alles in allem lässt sich also vermuten, dass der Begriff „symptomatische“ in der entscheidenden Tabelle 3 (in früheren WB manchmal Tabelle 4) einem Wunschdenken entspringt. Böse Zungen könnten sogar behaupten, dass durch das Suggerieren einer zusätzlichen Umstellung der dramatische Effekt des Wegfalls von Patienten mit unbekanntem Impfstatus kaschiert werden sollte.

Wenn sich also herausstellt, dass die Krankenhäuser erkennbar nicht im Sinne einer Verordnung handeln: Könnte das dann nicht auch rechtliche Konsequenzen haben? Vielleicht kennt sich ein geneigter Leser mit sowas aus.

Impfdurchbrüche und Impfeffektivität beruhen auf dubiosen Zahlen
Insgesamt lässt sich mit diesen Überlegungen sehr gut begründen, dass vermutlich auch die teilweise unkorrekten Meldungen der „Mit-Fälle“, über welche die WELT berichtet hatte, beim RKI eingehen und verarbeitet werden. Das RKI bündelt diese (unkorrekten) Zahlen also für eine bundesweite Statistik, die anschließend Aussagen darüber machen soll, wie hoch der Anteil der Impfdurchbrüche an der Gesamtzahl an Fällen ist und wie hoch dementsprechend die Impfeffektivität ist.

Nun stellt sich folgendes Problem: Zu Beginn des Artikels wurde darauf hingewiesen, dass die „Mit“-Fälle sowohl aus asymptomatischen als auch aus Patienten mit einem symptomatischen Nebenbefund bestehen können.

Allerdings zählt ein geimpfter positiv getesteter Patient generell laut RKI nur dann als Impfdurchbruch, wenn er eben nicht asymptomatisch, sondern symptomatisch ist. Das RKI schreibt dazu selbst im WB vom 23.12.2021 auf Seite 24:

„Dabei wird ein Impfdurchbruch als ein COVID-19-Fall […] definiert, für den eine klinische Symptomatik und mindestens eine Grundimmunisierung angegeben wurde.“

Weil man also nur mit einer klinischen Symptomatik als Impfdurchbruch zählt, dürften eigentlich ausschließlich die UNGEIMPFTEN asymptomatische Patienten in die Statistik des RKI eingehen. Die geimpften asymptomatischen C-Patienten aber nicht; zumindest nicht als Impfdurchbruch.

Befolgt das RKI die eigenen Regeln?
Denn nimmt das RKI seine eigenen Definitionen ernst, müsste im Meldesystem des RKI jeweils eine klinische Symptomatik erkennbar sein, um einen C-Patienten als Impfdurchbruch werten zu lassen, wie die aufgezeigte RKI-Definition es fordert. Es spricht vieles dafür, dass die klinische Symptomatik der C-Patienten von den Krankenhäusern angegeben wird und diese somit dem RKI vorliegen müsste, da die dazugehörigen Meldebögen (gemäß §§ 6, 8, 9 IfSG) speziell für COVID-19 einzelne Symptome zum Ankreuzen ausweisen, wie man hier an einem Ausschnitt des Meldebogens für das Bundesland NRW beispielhaft sehen kann:


Meldeformular Meldepflichtige Krankheit gemäß §§ 6, 8, 9 IfSG
(Quelle: Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen)
Geht man davon aus, dass das RKI im Sinne seiner eigenen Definitionen handelt, könnte sich diese Handhabung folgendermaßen praktisch abspielen:

Wir haben zwei asymptomatische Patienten, die positiv auf COVID-19 getestet, jedoch aufgrund eines Schlaganfalls hospitalisiert wurden – ein Patient geimpft und ein Patient ungeimpft. Für beide Patienten meldet das Krankenhaus eine „Hospitalisierung in Bezug zu COVID-19“. Eine klinische Symptomatik wird für beide nicht angegeben, da sie asymptomatisch sind. Die Meldungen gehen an das Gesundheitsamt, welches diese weiterleitet an die Landesbehörde. Diese leitet die Meldungen weiter an das RKI.

Der ungeimpfte Patient geht in die Statistik ganz normal ein, da es sich offiziell um eine „Hospitalisierung in Bezug zu COVID-19“ handelt. Der geimpfte Patient allerdings geht nicht als Impfdurchbruch in die Statistik des RKI ein, weil er den Filter der klinischen Symptomatik nicht passiert, welche die Voraussetzung für einen Impfdurchbruch in der Definition des RKI darstellt. Wird der geimpfte asymptomatische C-Patient also einfach ignoriert?

Welche Folgen ein solches (vielleicht auch unbewusstes) Handeln des RKI auf den Anteil der Impfdurchbrüche hätte, sollte evident sein. Im schlimmsten Fall geht der asymptomatische geimpfte Patient zwar als Fall ein, aber eben nicht als Impfdurchbruch und wird daher vom RKI indirekt als Ungeimpfter behandelt. Hierbei handelt es sich wohlgemerkt lediglich um Spekulationen, aber nach Meinung des Autors um berechtigte, die sich nur durch stärkere Transparenz des RKIs vollständig aus dem Weg räumen lassen.

So oder so:

Zu Ende gedacht, deuten die Recherchen der WELT mit großer Wahrscheinlichkeit auf Verzerrungen der Datenlage zugunsten der Impfung hin. Diese Daten stellen dann z.B. einen zentralen Input für die Empfehlungen des Expertenrats der Bundesregierung dar und beeinflussen die geltenden und vielleicht noch kommenden Coronamaßnahmen.

Und ganz wichtig noch einmal zum Abschluss: Kann man ernsthaft auf einer solchen Datenbasis eine Diskussion um eine Impfpflicht auch nur wagen anzustoßen?