Die unentgeltliche Freistellung

Der doppelte Vertragsbruch oder ein Ding der Unmöglichkeit

Zunächst im Streit um die arbeitgeberseitige Anordnung einer Maskenpflicht, seit dem 24.11.2021 auch bei der Ablehnung einer Testung durch Ungeimpfte greifen inzwischen sehr viele Arbeitgeber zuallererst zum neu erfundenen Instrument der unentgeltlichen Freistellung. Schon dieser erste Befund, dass früher ein Instrument der unentgeltlichen Freistellung weder im Arbeitsleben noch in der Arbeitsgerichtsbarkeit eine Rolle spielte, lässt den Verdacht aufkommen, dass es dieses Instrument in der rechtlichen Wirklichkeit wahrscheinlich gar nicht gibt bzw. geben darf.

Quelle: https://afaev.de/die-unentgeltliche-freistellung/


Im Ergebnis kann schon hier festgehalten werden, dass es eine unentgeltliche Freistellung nur theoretisch gibt, sie in der Rechtswirklichkeit jedoch deshalb nicht vorkommt, weil ihre Voraussetzungen enger sind als die fristlose Kündigung.

Ausgangspunkt ist zunächst der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“. Wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht erbringt, so kann sie in der Regel nicht nachgeholt werden. Sie wird als sogenannte absolute Fixschuld mit Zeitablauf unmöglich (§ 275 I BGB). Mit der Unmöglichkeit der Arbeitsleistung wird der Arbeitgeber grundsätzlich von seiner Vergütungspflicht frei.

Davon gibt es insbesondere auch in Zeiten einer SARS-CoV-2 Epidemie zwei wesentliche Ausnahmen:

Dem Arbeitnehmer ist die Erbringung seiner Arbeitsleistung tatsächlich unmöglich, da er arbeitsunfähig erkrankt ist. Ob dies bereits der Fall ist, wenn eine Infektion nachgewiesen ist oder erst wenn (schwere) Symptome auftreten, soll hier dahinstehen.
Wenn der Arbeitgeber die Annahme weiterer Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers mit einer einseitigen Freistellungserklärung ablehnt, wird wiederum die Arbeitsleistung unmöglich (§ 275 I BGB), der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers bleibt dann jedoch gemäß § 615 S. 1 BGB bestehen. Bei dieser einseitigen Freistellung des Arbeitgebers kommt es grundsätzlich für die Frage, ob Vergütung fortzuzahlen ist nicht darauf an, ob eine Berechtigung zur Freistellung gegeben ist.
In aller Regel, d.h. praktisch ohne relevante Ausnahmen, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt eine einseitige Freistellungserklärung abzugeben. Es besteht nämlich nicht nur eine Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers, sondern – seit langem von der Rechtsprechung anerkannt – dazu auch ein Beschäftigungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Das Arbeitsverhältnis dient nicht nur der Einkommenserzielung des Arbeitnehmers, sondern auch seiner persönlichen Entfaltung in dem gewählten und ausgeübten Beruf. Ohne eine dahingehende arbeitsvertragliche Vereinbarung darf der Arbeitgeber – völlig unabhängig von der Vergütung – den Arbeitnehmer deshalb nicht freistellen. Selbst bei einem gekündigten Arbeitsverhältnis und Fortzahlung der Vergütung darf für die Kündigungsfrist keine Freistellung erfolgen, ohne dahingehende vertragliche Vereinbarung.

Der Umkehrschluss ist in diesem Zusammenhang durchaus zielführend:

Wenn schon eine entgeltliche Freistellung in aller Regel ohne eine vertragliche Vereinbarung bzw. die Zustimmung des Arbeitnehmers rechtlich nicht zulässig ist, so muss dies umso mehr gelten für eine unentgeltliche Freistellung gegen den Willen des Arbeitnehmers.

In aller Regel ist also eine Freistellung (gegen den Willen des Arbeitnehmers) stets ein Vertragsbruch bzw. eine Verletzung der gegenüber dem Arbeitnehmer bestehenden Beschäftigungspflicht. Dieser Vertragsbruch lässt stets die ansonsten bestehende Verpflichtung des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung tatsächlich oder wörtlich anzubieten wegfallen. Mit der einseitigen Freistellungserklärung gerät der Arbeitgeber stets in Annahmeverzug, was zwingend einen Vergütungsanspruch („Annahmeverzugsvergütung“) zur Rechtsfolge hat.

Eine auch in Fällen der SARS-CoV-2 Epidemie praktisch ausgeschlossene Ausnahme von dieser Vergütungspflicht kommt nur dann in Betracht, wenn der Annahmeverzug ausgeschlossen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt dies jedoch besonders grobe Vertragsverstöße seitens des Arbeitnehmers voraus (BAG vom 29.10.1987 – 2 AZR 144/87). Nur dann ist ein Arbeitsangebot des Arbeitnehmers nicht mehr als ordnungsgemäß anzusehen, weshalb der Annahmeverzug als Vergütungsgrundlage wegfällt.

Voraussetzung hierfür sind aber eben besonders grobe Vertragsverstöße. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei diesen besonders groben Vertragsverstößen jedoch um Vertragspflichtverletzungen, die über die Anforderungen der Unzumutbarkeit gemäß § 626 BGB hinausgehen (BAG vom 29.10.1987 – 2 AZR 144/87). Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 BGB setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung nicht zugemutet werden kann. Nur bei Vorliegen von Gründen, die qualitativ noch über sogenannte fristlose Kündigungsgründe hinausgehen, kann der Arbeitgeber also unentgeltlich freistellen. Ohne hier eine Darstellung typischer fristloser Kündigungsgründe auszubreiten kann festgestellt werden, dass beim Vorliegen lediglich von Infektionsgefahren zuallerletzt an eine unentgeltliche Freistellung gedacht werden kann. Auch fristlose Kündigungsgründe liegen mit größter Wahrscheinlichkeit nicht vor.

Danach bestehen Vergütungsansprüche als Annahmeverzugsvergütung auch nach einer unentgeltlichen Freistellung praktisch immer. Dies gilt insbesondere für folgende Fallgestaltungen:

Die Arbeitnehmerin verweigert das Tragen einer Maske, obwohl der Arbeitgeber dies den arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen gemäß billigem Ermessen angeordnet hat.
Der Arbeitnehmer verweigert das Tragen einer Maske, weil die dahingehende arbeitgeberseitige Weisung nicht vom Direktionsrecht getragen ist (weil Sie den arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnungen nicht genügt).
Die Arbeitnehmerin weigert sich einen Genesenen-, Impf- oder Testnachweis i.S.d. CoVid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vorzulegen, obwohl es sich bei ihrem Betrieb um eine Arbeitsstätte handelt, in denen physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können (§ 28b I IfSG).
Der Arbeitnehmer weigert sich einen Genesenen-, Impf- oder Testnachweis i.S.d. CoVid-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vorzulegen, weil es sich bei ihrem Betrieb um keine Arbeitsstätte handelt, in denen physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten untereinander oder zu Dritten nicht ausgeschlossen werden können (§ 28b I IfSG).
Der Arbeitnehmer einer heilberuflichen Einrichtung i.S.v. § 20a I IfSG weigert sich einen Impfnachweis oder einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen, dass er aufgrund einer medizinischen Kontraindikation nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft werden kann.
In den drei letztgenannten Fällen (§§ 28b bzw. 20a IfSG) liegt nur ein öffentlich-rechtliches (infektionsschutzrechtliches), dem Gefahrenabwehrrecht zugehöriges Verbot (zum Betreten des Betriebes bzw. zur Tätigkeit in der Einrichtung) vor. Diese Verbote haben jedoch keinen Einfluss auf den Inhalt des Arbeitsvertrages. Die Verletzung öffentlich-rechtlicher Ge- und Verbote kann jedoch allenfalls bei einer dahingehenden vertraglichen Vereinbarung zugleich einen Vertragspflichtenverstoß bedeuten. Es fehlt somit schon an einem Vertragsverstoß. Von einem besonders groben Vertragsverstoß im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann in keinem dieser Fälle gesprochen werden. Dies gilt völlig unabhängig von der allerdings zu bejahenden Frage, ob die öffentlich-rechtlichen gesetzlichen Vorschriften des § 28b IfSG und 20a IfSG rechts- und verfassungswidrig sind.

Jeder Arbeitnehmer der (praktisch nur im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2 Epidemie) unentgeltlich freigestellt wird (oder auch nur des Hauses verwiesen wird, wenn er den Betrieb betreten möchte), hat Anspruch auf Fortzahlung ungekürzter Vergütungsansprüche (Lohn, Vergütung etc.) nach dem Lohnausfallprinzip, das heißt in gleicher Höhe, wie er bei tatsächlicher Arbeitsleistung zu beanspruchen gehabt hätte.

Bis zur Durchsetzung dieses Annahmeverzugsvergütungsanspruchs (!) ist er wegen der Freistellung bzw. wegen des Annahmeverzuges aber auch berechtigt Arbeitslosengeld I von der Bundesagentur für Arbeit zu erhalten. Dies ergibt sich im Ergebnis jedenfalls aus § 157 Abs. 3 SGB III.