Inzidenz bei Ungeimpften? Auch Sachsen nimmt es nicht so genau

Die Redaktion von welt.de kann sich am 23.12. in einem Artikel unter obiger Überschrift nicht leisten, zu titeln „Kretschmer lügt das Blaue vom Himmel„. Hinter der Bezahlschranke lesen wir:

»Nach den Fällen in Hamburg und Bayern wird nun bekannt, dass die Aufschlüsselung der Inzidenzwerte in Geimpfte und Ungeimpfte auch in Sachsen höchst unpräzise war. Trotzdem schafften es die Daten sogar in einen Gesetzesentwurf…

Die erste WELT-Anfrage stammt vom 2. Dezember… Das Ministerium schickte am Tag darauf ein ausführliches Statement, bloß: ohne Zahlen. Stattdessen die Info, die diesbezügliche Datenlage sei „aktuell nicht belastbar“.

Quelle: https://www.corodok.de/inzidenz-ungeimpften-auch/


Der Hintergrund der Zahlenermittlung ist interessant, denn Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) argumentierte mit den Inzidenzen immer wieder staatliche Eingriffe. Am 5. November nannte er im „Deutschlandfunk” eine Inzidenz von 700 bis 800 bei Ungeimpften – bei Geimpften läge sie bei 70 bis 80. Der Landesparteitag der CDU am nächsten Tag: Inzidenz bei den Ungeimpften von über 800, erklärte Kretschmer.

Am 18. November sagte Kretschmer im sächsischen Landtag: „In der Tat ist es so, dass die Inzidenz bei den nichtgeimpften Bürgerinnen und Bürger bei 1800 liegt und bei denen, die geimpft sind, bei 63.“ Einen Tag später kündigte er neue Corona-Maßnahmen an, sprach von einer „Inzidenz von 1800, 1900 bei den Ungeimpften“ und einer von „50, 60“ bei den Geimpften.

Es war nicht nur Kretschmer, der sich dieser Zahlen für das eigene Bundesland bediente. Im Gesetzesentwurf der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP im Deutschen Bundestag „Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 8. November wird Bezug auf die sächsische Statistik genommen. Auf Grundlage der sächsischen Zahlen wurde bundesweit die Arbeitsschutzverordnung verschärft: „(…) während die 7‑Tage-Inzidenz bei den Geimpften bei ca. 60/100.000 liegt, beträgt sie bei Ungeimpften und nicht vollständig Geimpften fast 600/100.000 (Stand 02. November 2021).“ Der Impf- und Genesenenstatus können daher in der „Bewertung der Maßnahmen zur Kontaktreduktion berücksichtigt werden, so dass im Einzelfall Maßnahmen zur Kontaktreduktion wegfallen können“.

Recherchen von WELT ergaben dann im Dezember, dass derartige Inzidenz-Unterschiede in anderen Bundesländern teils auf unbrauchbaren Daten beruhen. In Bayern etwa war in einer Beispielwoche im November der Impfstatus der Neuinfizierten in 70 Prozent der Fälle nicht bekannt – diese Personen wurden den Ungeimpften zugerechnet, der Unterschied in Sachen Infektionen mit eins zu 16 angegeben. Die Staatsregierung weigert sich bislang, die gesamten Zahlen herauszugeben, die Bayern-FDP erwägt daher eine Verfassungsklage.

Der Hamburger Senat hingegen beantwortete eine Kleine Anfrage der FDP ausführlich, den Zahlen zufolge ist der Impfstatus meist nicht bekannt, zuletzt nur in etwa zehn Prozent der Fälle. Und: In der Kalenderwoche 45 waren 14,3 Prozent der Infizierten gesichert auf Ungeimpfte zurückzuführen – der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte von 90 Prozent gesprochen.