Kardinal Müller befürchtet Überwachungsstaat mit „totaler Kontrolle“

Kardinal Gerhard Ludwig Müller kritisiert die Corona-Maßnahmen und greift dabei Verschwörungsmythen auf. Ihm wird Antisemitismus vorgeworfen. Er beharrt auf einer „nicht legitimierten Einflussnahme“ von „superreichen Eliten“. Die Rabbinerkonferenz fordert klare Distanzierung von seinen Aussagen.

Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/article235631970/Corona-Verschwoerung-Kardinal-Mueller-befuerchtet-Ueberwachungsstaat-mit-totaler-Kontrolle.html


Der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller hat vor einer angeblich geplante Gleichschaltung der Menschen und einen Überwachungsstaat gewarnt.

Der frühere Regensburger Bischof und jetzige hohe Vatikan-Richter sprach in einem Interview davon, dass hinter Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie eine finanzkräftige Elite stecken würde. Kritiker warfen ihm daraufhin das Verbreiten von Verschwörungstheorien und antisemitischen Codes vor.

„Leute, die auf dem Thron ihres Reichtums sitzen“, sehen angeblich „eine Chance jetzt, um ihre Agenda durchzusetzen“, wie der 73-Jährige behauptete. Es gebe ein gewisses Chaos, „auch geboren aus dem Willen, die Gelegenheit zu nutzen, die Menschen jetzt gleichzuschalten, einer totalen Kontrolle zu unterziehen, einen Überwachungsstaat zu etablieren“.

Das katholisch-konservative „St. Bonifatius Institut“ aus Österreich hatte bereits vorige Woche von dem Gespräch mit dem früheren Chef der Glaubenskongregation ein 2:19 Minuten langes Video gewittert. Weitere Passagen kursieren ebenfalls in den sozialen Medien.

Kein Kommentar von der Deutschen Bischofskonferenz
Müller bestätigte der Deutschen Presse-Agentur per Mail die Echtheit des Interviews. Der Vatikan reagierte auf dpa-Anfrage zunächst nicht. Die Deutsche Bischofskonferenz kommentierte die Aussagen nicht und verwies auf ihren Aufruf, sich impfen zu lassen.

Solche Formulierungen kommen in Verschwörungstheorien vor und werden auf die Corona-Pandemie übertragen. Der Politikwissenschaftler und Experte für solche Theorien Jan Rathje sagte zu Müllers Behauptungen: „Die Aussagen lassen sich größtenteils verschwörungsideologisch werten.“

Durch den Begriff „Gleichschaltung“ ziehe er „einen Vergleich zum Nationalsozialismus, der dadurch verharmlost wird“, sagte der Experte des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Darüber hinaus erwähnt Müller in seiner Rede den jüdischen Geschäftsmann George Soros, „was als antisemitische Chiffre gewertet werden kann“, sagte Rathje.

Müller sagte, er wolle „eigentlich nicht geschaffen und erlöst werden“ von Leuten wie dem früheren Microsoft-Chef Bill Gates oder Klaus Schwab, dem Chef des Weltwirtschaftsforums in Davos. Die beiden Männer tauchen so wie Soros häufig in Verschwörungsmythen auf.

Rabbinerkonferenz kritisiert Kardinal Müllers Verschwörungsmythen
Die Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) kritisiert Kardinal Gerhard Ludwig Müller scharf für dessen Verschwörungsmythen über eine angeblich geplante Gleichschaltung der Menschen nach Corona. Der CER-Präsident, Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, forderte den Vatikan und die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) auf, „sich von solchen kruden Aussagen und Positionen klar distanzieren“.

„Religionsvertreter sollten gerade in dieser Zeitphase, in der mit Verschwörungsmythen, falschen Narrativen und Hass versucht wird, unsere Gesellschaft zu spalten und sie gegen Demokratie und Pluralismus aufzuhetzen, mäßigend wirken und entschieden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eintreten und sich gegen Verschwörungen, Hass und Verleumdungen stellen“, sagte Goldschmidt laut Mitteilung vom Mittwoch.

„Die Aussagen von Kardinal Müller sind eine große Enttäuschung für sehr viele Menschen, die in dieser schwierigen Zeit der Pandemie nach Orientierung suchen und Zuversicht brauchen“, sagte Goldschmidt.

Schon 2020 ein ähnliches Manifest unterstützt
Der 73-jährige Müller war nach seiner Bischofszeit in Regensburg vom damaligen Papst Benedikt XVI. als Chef der Glaubenskongregation in den Vatikan geholt worden. Dort schied er nach nur einer Amtszeit von fünf Jahren aber schon wieder aus. Papst Franziskus berief den gebürtigen Rheinland-Pfälzer im Juni 2021 in das höchste Gericht der römischen Kurie, die Signatura Apostolica (Apostolische Signatur).

Müller schrieb der dpa in der Mail, dass er die Logik zurückweise, dass „wenn jemand die Finanzelite kritisiert, er automatisch auf der falschen Seite ist“. Er sprach erneut von einer „nicht legitimierten Einflussnahme der superreichen Eliten in verschiedenen Ländern“.

Der Kardinal hatte schon Anfang 2020 ein Manifest eines Erzbischofs gegen die Corona-Beschränkungen unterschrieben, in dem Narrative aus Verschwörungstheorien vorkommen. Die Rede war vom „Auftakt zur Schaffung einer Weltregierung, die sich jeder Kontrolle entzieht“.

Müller sagte danach, dass der Text bewusst missverstanden wurde. Für Empörung hatte seine Kritik am Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland gesorgt, deren Entscheidungsfindung der Kardinal mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten verglichen hatte.