Corona-Pandemie: Was Omikron bei Geimpften mit den Antikörpern macht

Erste Laborergebnisse zum Impfschutz bei der neuen Corona-Variante verbreiten Schrecken. Eine Einordnung.

Die ersten Nachrichten zum Impfschutz gegenüber Omikron überschlagen sich. Die Labore von Virologinnen wie Sandra Ciesek, Janine Kimpel aus Österreich oder dem Team um Alex Sigal in Südafrika müssen die Nächte durchgemacht haben. Seit Mittwoch liegen die ersten Ergebnisse vor und sie zeigen genau das, was die Wissenschaft beim Aufkommen der neuen Variante schon vermutet hat: Omikron interessiert sich nur am Rande für die neutralisierenden Antikörper, die durch die bestehenden Impfstoffe ausgelöst werden.

Quelle: https://www.heise.de/hintergrund/Corona-Pandemie-Was-Omikron-bei-Geimpften-mit-den-Antikoerpern-macht-6290653.html


Wie stark neutralisieren die Antikörper?
Die Labore haben unterschiedliche Impfschemata untersucht und getestet, wie stark die dabei gebildeten Antikörper die neue Virus-Variante Omikron neutralisieren können. Neutralisieren heißt in diesem Fall: an das Virus binden und es damit der Entsorgung durch Fresszellen des Immunsystems zuführen. Bei Neutralisationstests wird im Prinzip getestet, wie viele Antikörper im Blut der Geimpften schwimmen, die in der Lage sind, an das Virus zu binden. Die Ergebnisse der Forschungslabore klingen erst einmal erschreckend: „2x Biontech, 2x Moderna, 1xAZ/1x Biontech nach 6 Monaten 0% Neutralisation bei Omikron, auch 3x Biontech 3 Monate nach Booster nur 25% NT versus 95% bei Delta. Bis zu 37fache Reduktion Delta vs. Omikron“, schreibt Sandra Ciesek auf Twitter.

Was jedoch wichtig zu wissen ist: Es sind Laborwerte, die genau das bestätigen, was bereits beim Aufkommen der Variante vermutet wurde, nämlich, dass die Mutationen im Spike-Protein – auf das die Impfungen das Immunsystem gezielt trainieren – so massiv sind, dass die Antikörper nicht mehr passen. Das ist erst einmal keine neue Qualität. Es ist die Bestätigung dessen, was erfahrene Virologinnen und Virologen angenommen und nun bestätigt haben. Das erlaubt jedoch keinen direkten Rückschluss auf die Effektivität der Impfung. Dafür müssten viele Menschen – nicht nur ihr Blut – in klinischen Studien untersucht werden. Eine „37fache Reduktion Delta vs. Omikron“ heißt nicht, dass die Impfung 37-mal weniger wirksam ist. Über die Gesamtwirkung der Impfung gegen Omikron können im Moment schlicht keine Aussagen getroffen werden.

Die Ergebnisse lassen vor allem einen Schluss zu: Die Variante reagiert genauso wie vermutet und Boostern ist wichtig. Aber Boostern ist ohnehin wichtig, um den schnellen Schutz vor den Viren während des pandemischen Geschehens zu gewährleisten. Denn darum geht es, wenn wir von Antikörpern sprechen: eine schnelle Reaktion, die im Idealfall SARS-CoV-2 so gut abwehrt, dass COVID-19 gar nicht erst ausbricht. Und noch haben wir es vor allem mit Delta zu tun. Delta ist die Virusvariante, die das Geschehen in Deutschland bestimmt und gegen Delta hilft Boostern.

Impfstoff eigentlich für Alpha
Boostern ist aus zwei Gründen so wichtig geworden. Erstens, weil der Impfstoff für die frühe Alpha-Variante des Virus entwickelt wurde und auch schon auf Delta nicht vollständig passt. So wie auch bei der Influenza-Impfung der Impfstoff häufig leicht von der grassierenden Variante abweicht. Er schützt dennoch, aber eben nicht ganz so gut. Umso wichtiger ist ein frischer Schutz und sind viele frische Antikörper. Darauf deuten auch die Ergebnisse von Biontech zur Wirkung des Boosters gegen Omikron hin: Einen Monat nach der dritten Dosis ist die neutralisierende Wirkung der Antikörper gegenüber Omikron nur geringfügig schlechter als gegenüber Delta. Sandra Ciesek hat die gleiche Konstellation nach drei Monaten gemessen und bereits einen deutlichen Abfall des Schutzes gesehen. Sie sieht nur noch 25 Prozent der neutralisierenden Wirkung bei Omikron gegenüber einer Neutralisation von 95 Prozent bei Delta.

Zweitens ist Boostern so wichtig, weil wir uns schon wieder in einer Welle befinden. Die Antikörper haben das Potential, die Welle zu brechen, weil sie die Infektion sozusagen im Keim ersticken können. Jeder Wirt, der das Virus eliminiert, bremst seine Verbreitung.

Aber selbst, wenn die Antikörper nicht gut zu der Omikron-Variante passen, schützt die Impfung. Sie verhindert vielleicht nicht den Ausbruch der Krankheit, aber unser Immunsystem hat gegen Viren deutlich mehr zu bieten als Antikörper. Die T-Zell-Antwort des Immunsystems ist der Schlüssel zu einem dauerhaften Schutz. Marathon versus Sprint – sozusagen. Dieser Zweig der Immunantwort bricht keine Wellen, sondern schützt das Individuum, denn T-Zellen brauchen etwas Zeit. Das Virus kann sich erst einmal in seinem Wirt ausbreiten, bis das Gedächtnis anspringt und systematisch aufräumt. Der Mensch wird krank. Ja. Aber er hat eine gute Antwort auf die Krankheit und kann sie in der Regel aus eigener Kraft bekämpfen. Und ist es nicht das, worauf es letztlich ankommt? Jedes Jahr akzeptieren wir diverse Infektionen, die uns teilweise eine Laufnase bescheren, teilweise Halsschmerzen. Manche bringen sie Fieber und fesseln uns ein paar Tage an das Bett oder das Sofa. Über diese T-Zell-Antwort gibt es derzeit keine Informationen.

Diese wertvolle T-Zell-Immunität baut sich durch die Impfungen unterschiedlich auf. Je nachdem wie ein Impfstoff in den Körper gebracht wird und wie er aufgebaut ist, reagiert das Immunsystem unterschiedlich. Beispiel mRNA-Impfstoffe: mRNA ist im Organismus allgegenwärtig, allerdings nur in der winzigen Zone zwischen Zellkern und Zellplasma. Ihre Aufgabe ist es, die Informationen der DNA im Kern, die gerade benötigt werden, aus dem Kern in das Zellplasma zu transportieren. Dort wird sie in Proteine übersetzt. Jede RNA, die sich jedoch von außen einer Zelle nähert, ist eine Gefahr, denn sie muss fast zwangsläufig von einem Virus stammen. Sie schmeißt deshalb unmittelbar und heftig das Immunsystem an, damit die mRNA gar nicht erst in die Zelle gelangt.

Die Impf-mRNA muss dennoch in die Zelle. Zu diesem Zweck sind die Impf-mRNAs, die derzeit verimpft werden, modifiziert, da sonst die Nebenwirkungen bei den nötigen hohen Impfdosen so stark wären, dass die Impfung vermutlich nicht akzeptiert würde. Mit dieser Maskerade schafft es die Impf-mRNA unbeschadet in die Zelle, um dort in das Impfprotein übersetzt zu werden. Das löst eine beeindruckende Antikörperproduktion aus.

Was dabei allerdings auf der Strecke bleibt, ist die Aktivierung, die ein echtes Virus auslöst. Das Warnsignal, dass da eine RNA versucht eine Zelle zu kapern. Ein wichtiger Botenstoff dabei ist Interferon-alpha. Er ist es, der uns das schwere Krankheitsgefühl bei einer Grippe beschert. Das Fieber, den Schüttelfrost, die Kopf- und Gliederschmerzen. Dieses Interferon-alpha ist gleichzeitig ein wichtiger Auslöser für die Produktion der T-Zellen. Das heißt nicht, dass mRNA-Impfstoffe keine T-Zell-Antwort generieren. Experten vermuten allerdings, dass es länger dauert – und sie gehen ebenfalls davon aus, dass die Langstreckenfähigkeit der Impfung mit jedem Booster besser wird.

Langfristiger Schutz gegen SARS-CoV-2
Deshalb gelten die heterologen Impfschemata – also eine Grundimmunisierung mit Impfstoffen verschiedener Technologien, wie die Ständige Impfkommission dies beschreibt – derzeit als besonders vielversprechend für einen langfristigen Schutz. Denn sie kombinieren die T-Zell-Maschinerie, weil ein Impfvektor dem Immunsystem ein Virus präsentiert, mit der massiven Antikörper-Produktion durch die später verimpfte mRNA.

Wie man es dreht und wendet: Impfen schützt, wenn auch nicht unbedingt vor der Infektion, aber vor der Intensivstation. Und wer weiß, vielleicht steht zum Frühjahr, wenn Omikron vermutlich die Vorherrschaft übernommen haben wird, schon ein angepasster Impfstoff zur Verfügung? Denn das ist ein unschätzbarer Vorteil der neuen Impfstoffe – es dauert nur Wochen, einen neuen Impfstoff zu produzieren.

Hinzu kommt: Derzeit ist noch gar nicht klar, wie sich Omikron verhalten wird, wie schwer die Verläufe werden. Das ist – wie auch bei Delta – die letzte Information, die wir vermutlich über diese Variante erhalten werden, denn diese Info bekommen wir erst, wenn sie sich in der eigenen Population verbreitet hat. Bis dahin wissen wir es schlicht nicht.