Karl Lauterbach bei Anne Will: „Der Staat darf sich nicht erpressen lassen“

Düsseldorf Ohne Impfpflicht wird es nicht gehen, fürchtet der Gesundheitsexperte in der ARD, sonst drehe sich das Hamsterrad der Pandemie endlos weiter. Markus Söder empfiehlt Lauterbach erneut für den Ministerposten. Notfallmedizinerin Carola Holzner drängt zur Eile.

Darum ging es

Es gibt „fast einen Lockdown für Ungeimpfte“ und viele neue Maßnahmen – bringen Bund und Länder so die Pandemie unter Kontrolle? Das fragt Anne Will am Abend in der ARD zwei Spitzenpolitiker, eine Notfallmedizinerin, eine Journalistin und einen FDP-Politiker. Und natürlich will (nicht nur) die Moderatorin immer noch wissen: Wer wird Gesundheitsminister?

Die Gäste

  • Konstantin Kuhle, Mitglied im FDP-Bundesvorstand
  • Carola Holzner, Leiterin der Notaufnahme der Helios-Klinik Duisburg
  • Cerstin Gammelin, Hauptstadtkorrespondentin der Süddeutschen Zeitung
  • Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte, SPD
  • Markus Söder, CSU-Vorsitzender

Quelle: https://rp-online.de/panorama/fernsehen/anne-will-karl-lauterbach-spricht-sich-fuer-impfpflicht-aus_aid-64457653


Die Duisburger Notfallmedizinerin hat nicht mehr viel Geduld für Abwägen und Diskussionen: Carola Holzner erzählt, wie es ist, wenn sie weder Menschen mit Krampfanfällen oder Herzinfarkten, noch Schlaganfall-Patienten die beste Hilfe bieten kann. Es gehe nicht nur um Covid-Patienten: „Egal, womit die Leute kommen, ich muss ein Intensiv-Bett finden, und das gestaltet sich sehr, sehr schwierig.” Sie begrüßt die neuen Maßnahmen, fragt sich allerdings wer künftig kontrollieren wird, „wer sich hinter verschlossenen Türen trifft.” Vielleicht sei ein harter Lockdown ja sogar einfacher umzusetzen.

Auch Journalistin Cerstin Gammelin zweifelt daran, wie realistisch wirksame Kontrollen seien - allein in Bus und Bahn sei sie noch nie nach ihrem Impfstatus gefragt worden. Karl Lauterbach verspricht Besserung und ist sich über den Faktor Zeit im Klaren: „Wir müssen schnell vor die Welle kommen, die nächsten vier Wochen sind entscheidend”, sagt der SPD-Abgeordnete. „Polizei und Ordnungsämter müssen jetzt Corona-Maßnahmen kontrollieren und nicht, ob das Parkticket abgelaufen ist.”

Söder sieht das Land und seinen Freistaat auf dem richtigen Weg: Maßnahmen in Bayern - abgesagte Weihnachtsmärkte, Geisterspiele der Fußballer, geschlossene Bars und Clubs - hätten bereits Wirkung gezeigt. Statt elf hätten nur noch zwei Landkreise in Bayern Inzidenzen über 1000. Na, immerhin.

Einen harten Lockdown will niemand als nächste Stufe sehen. „Da würden Geimpfte sich ärgern”, vermutet Gammelin. Lauterbach hält die Maßnahme nicht für wahrscheinlich, ausschließen könne es aber niemand: „Ich glaube, dass wir keinen Lockdown brauchen, aber versprechen kann ich es nicht.” Und das läge vor allem an der Omikron-Variante: „Wenn man eine neue Variante bekommt wie Omikron, ist es absolut nicht seriös sowas zu versprechen.” Aus Studien aus England und Israel folgert er: „Wir müssen so schnell wie möglich die Booster-Impfungen durchsetzen”, denn die Wahrscheinlichkeit, dass Omikron sich bei Booster-Geimpften durchsetzen könne, sei sehr gering. Die schnellstmöglichen Booster seien das Wichtigste, um im Winter noch einen Lockdown zu vermeiden.

Über die Einführung einer zunächst einrichtungsbezogenen Impfpflicht sind sich Söder und Lauterbach einig, während FDP-Mann Kuhle eher „offen für die Diskussion” ist und sich Vorschläge „ansehen” will. Söder hätte lieber gesehen, dass eine Impfpflicht nicht nötig wäre, weiß aber nicht mehr, wie wir sonst „aus der Endlosschleife mit immer neuen Mutationen herauszukommen.” Da gebe es wahrscheinlich keinen anderen Weg aus der „Ewig grüßt das Corona-Murmeltier“-Situation.

Will erinnert daran, dass zu Beginn der Pandemie alle Politiker klar gegen eine Impfpflicht waren und Medizinerin Holzer warnt, das Vertrauen in die Politik könne durch eine Kehrtwende leiden. Lauterbach sieht das anders. „Wenn die Situation es erfordert, muss man seine Position ändern”, sagt er, und die Delta- und Omikron-Varianten im Verein mit geringer Impfbereitschaft hätten diese Änderung der Lage geschaffen. „Wir werden es ohne Impfpflicht nicht schaffen”, sagt er und hat auch keine Scheu davor, die Pflicht durchzusetzen: Sinnvoll sei, wenn wer nicht geimpft ist eine Konventionalstrafe bezahlen müsse. „Niemand wird zum Impfen vorgeführt, aber ohne Strafen wird es nicht gehen. Ich glaube nicht, dass wir aus dem Hamsterrad anders ‘rauskommen.”

Anne Will wirft ein, dass die Aggressivität zunimmt und ebenso die Warnungen lauter werden, dass eine Impfpflicht die Radikalisierung noch verstärken könne. „Generell würde Einführung weniger spalten als eine ewige Debatte darüber“, ist der Eindruck von Gamellin. Auch Lauterbach hat eine klare Ansage: „Der Staat darf sich nicht erpressen lassen.” Er nennt es „absolut indiskutabel”, unter dem „Druck der Straße” Abstriche an der Gesetzeskompetenz zu machen. Auch Söder will sich von „Hardcore und Radikalgruppen” nicht unter Druck setzen lassen. Ein Teil der Querdenker müsse bereits vom Verfassungsschutz beobachtet werden, und „Fackelzüge” erinnern ihn an „schlimmste Zeiten.” Am Ende könne vermutlich wirklich nur die Impfpflicht helfen. „diese schlimmste Krise zu bewältigen.” Holzer ist immerhin überzeugt, sie könne neun von zehn Zweiflern im Vier-Augen-Gespräch von einer Impfung überzeugen.

Eine Frage bleibt auch an diesem Sonntag unbeantwortet: Wer wird Gesundheitsminister oder Gesundheitsministerin? Karl Lauterbach hält sich weiter bedeckt und verweist auf die Bekanntgabe der Ministerposten am Morgen, in der SPD gebe es „viele gute Leute”. Söder nominiert Lauterbach erneut: „Wir brauchen keinen Gesundheitsminister, der 100 Tage Einarbeitung braucht, eher müssten das keine zehn Minuten Einarbeitungszeit sein”, sagt er, lobt Lauterbachs „Grundkompass” und wüde ihn in der Rolle begrüßen. Dann hat der bayrische Ministerpräsident Zweifel an seiner Lobrede: „Ich hoffe, ich schade ihm damit jetzt nicht.”