Angespannte Corona-Lage: Gassen sieht keinen Grund zur Panik

„Da wird Stimmungsmache betrieben“: Kassenärzte-Chef Gassen wirft „einigen Politikern und Experten“ vor, die derzeitige Corona-Situation zu dramatisieren. Er glaubt nicht daran, dass die Kliniken derzeit überlastet sind. RKI-Chef Wieler sieht das ganz anders.

Quelle: https://www.n-tv.de/panorama/Gassen-sieht-keinen-Grund-zur-Panik-article22938317.html

Kassenärzte-Chef Andreas Gassen hat angesichts der Corona-Lage vor Panikmache gewarnt. "Die Lage ist schwierig, aber für Panik besteht kein Anlass", sagte Gassen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Insbesondere von einigen Politikern und Experten wird versucht, die Ampel-Parteien mit düsteren Szenarien und fast schon hysterisch anmutenden Warnungen extrem unter Druck zu setzen", meinte er. "Da wird Stimmungsmache betrieben. Das erinnert ein wenig an den letzten Winter."

Bisher hätten SPD, Grüne und FDP aber einen kühlen Kopf bewiesen, so Gassen. "Es bleibt richtig, die pandemische Notlage aufzuheben, weil die Regelungen nicht länger vor Gerichten standgehalten hätten." Die Krankenhäuser seien ebenso wie die Praxen seit Monaten stark belastet. "Es besteht aber derzeit wohl nicht die Gefahr, dass die Kliniken in ihrer Gesamtheit an ihre Leistungsgrenze stoßen." Die Belegungszahlen seien nach wie vor niedriger als zum Höhepunkt der dritten Corona-Welle. "Es gibt insgesamt noch ausreichend Reserven", meinte er. "Wenn die Krankenhäuser jetzt wieder planbare Operationen verschieben, dann ist das eine reine Vorsichtsmaßnahme, um mehr freie Betten bereitzustellen."

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sieht die Lage derweil anders. "Wir laufen momentan in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern", sagte Wieler am Mittwochabend bei einer Online-Diskussion mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Die Lage in den Krankenhäusern werde immer schlimmer. "Wir waren noch nie so beunruhigt wie jetzt", sagte der RKI-Chef.

Die Zahl der schwer kranken Covid-Patienten steige, für Menschen mit Schlaganfall und andere Schwerkranke müsse mancherorts bis zu zwei Stunden nach einem freien Intensivbett gesucht werden. "Die Versorgung ist bereits in allen Bundesländern nicht mehr der Regel entsprechend." Und das werde noch zunehmen. "Sie sehen, die Prognosen sind superdüster. Sie sind richtig düster", sagte Wieler. "Es herrscht eine Notlage in unserem Land. Wer das nicht sieht, der macht einen sehr großen Fehler."

RKI meldet neue Höchststände
Mittlerweile hat die Zahl der Corona-Neuinfektionen erstmals in der Pandemie den Wert von 60.000 überschritten. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages den Höchstwert von 65.371 Corona-Neuinfektionen. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 336,9 - ebenfalls ein Höchststand. Deutschlandweit wurden binnen 24 Stunden 264 Todesfälle verzeichnet.

Die Zahl der in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen - den für eine mögliche Verschärfung der Corona-Beschränkungen wichtigsten Parameter - gab das RKI am Mittwoch mit 5,15 an (Dienstag: 4,86). Bei dem Indikator muss berücksichtigt werden, dass Krankenhausaufnahmen teils mit Verzug gemeldet werden. Ein bundesweiter Schwellenwert, ab wann die Lage kritisch zu sehen ist, ist für die Hospitalisierungs-Inzidenz unter anderem wegen großer regionaler Unterschiede nicht vorgesehen. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit bei rund 15,5.

Die geplante Ampel-Koalition will mit einer Gesetzesänderung die epidemische Lage als Rechtsbasis für Corona-Maßnahmen ersetzen - mit einem verkleinerten Katalog möglicher Länder-Maßnahmen. Das Gesetz braucht im Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit. Die unionsgeführten Bundesländer halten den jetzigen Entwurf im Bundesrat - Stand Mittwoch - für "nicht zustimmungsfähig", da er "nicht ausreichend" sei, um die Menschen vor Corona zu schützen. Dies hatte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst, in einem Brief geschrieben, der auch an den wohl künftigen Kanzler Olaf Scholz ging.